In Michael Endes Kinderroman "Momo"
schwatzen graue Zigarren rauchende graue Männer den Leuten ihre Zeit
ab, um sie angeblich in einer Zeitsparkasse zu deponieren. Falls man
in der hektischen Realwelt doch etwas Zeit übrig hat, sollte man sie
lieber den Tänzern der Berliner wee dance company zumindest für die
Dauer ihrer Produktion "There's time" schenken.
Die fünf Tänzer mit grauen Hosenanzügen und Melone sind keine
gemeinen Zeitdiebe, sie spielen nur in rhythmischen tänzerischen
Bildern mit dem Begriff "Zeit", messen sie mit einer Sanduhr, bieten
sie sogar feil. In einer nicht auf technischen Perfektionismus
achtenden Videosequenz verkauft die nur auf der Leinwand präsente
Tänzerin (Kathinka Lühr-Sonneborn) Zeitware aus ihrem Bauchladen.
Eine Lupe wird als Zeitlupe deklariert, ein Zeitraffer per
Knopfdruck ermöglicht, Freizeiten, Auszeiten - alles dabei. Clou ist
der Service, übrig gebliebene Zeit entgegenzunehmen. Später gibt es
eine mit dem Publikum geteilte Brotmahlzeit. Wieder per
Videoeinspiel hält der israelische Tänzer und Company-Mitbegründer
Dan Pelleg einen Vortrag über die Zeit als
physikalisch-philosophischer Begriff.
Und noch eine "Botschaft" voller Wortspielerei und mit leichter
surrealistischer Metaphorik wird über die Leinwand gesendet. Der
zweite Company-Mitbegründer Marko Weigert hält in einem Café einem
stummen Gegenüber eine Standpauke - einem großen Luftballon mit
Melone, was entfernt an das berühmte Bild "The Son of Man" von
Magritte erinnert. Der Luftikus hört sich die Vorwürfe über seine
Aufgeblasenheit stumm und geduldig an und fliegt am Ende
wortwörtlich in die Luft.
Die mit schlichten Mitteln per Video präsentierten Wort- und
Metapherspiele sind witzig, auch wenn etwas zu vordergründig, und
amüsieren das Publikum. Die choreografierten Sequenzen aus Solo-
oder Gruppenbildern zeugen durchaus von den tänzerischen Qualitäten
der 1999 gegründeten "kleinen" Truppe (wee = winzig klein). Die
Bruchstücke, geprägt von mal fließenden, mal schnell "geschnittenen"
Bewegung, bekommen Antrieb durch die klopfenden und kratzenden
Klänge der elektronischen Musik, die immer schneller wird. Wie der
beschleunigten Gruppendynamik entgegenwirkend lassen sich die Tänzer
auch Zeit für "Nahaufnahmen" wie das Sandbad, das eine Tänzerin mit
ritueller Langsamkeit nimmt.
Dann war die Zeit um. Und das Publikum schien die Stunde mit der
wee dance company für eine lohnende Zeitinvestition zu halten.
Bistra Klunker
*
Mit dem Tanzwochen-Beitrag der Carot-Dancers werden gleich zwei
Jubiläen gewürdigt: neben dem der Wahlheimat der Compagnie der des
Traumdeuters Sigmund Freud.
Während Roman Chovanec als Bilderklärer (zum Glück für die
Besucherstatistik) eine ganze Weile geduldig warten muss, bis sich
das Publikum in die Sitze geschachtelt hat, verharrt das hier
selbstverständlich lebensgroße Bildnis nach Herrn Liotrad (beinahe)
regungslos. Auch dann noch, als der Erklärer (vielleicht auch nur
Wächter) mit ihm in in einen gestischen Dialog tritt. Der junge,
eher etwas biedere Mann sucht angesichts der grazilen Erscheinung
nach eigenen Vorzügen, die das Idol aus seinem Rahmen locken
könnten. Was es dann eher etwas unvermittelt tut, um sich sehr
direkt mit dem alltagsgrauen Menschen einzulassen. Doch vor der
erotischen Studie schreckt die Choreographie von Nicole Meier dann
doch zurück.- es bleibt bei einer eher platonischen Entblätterung in
Traumsequenzen, deren vage Dramaturgie sich ohne Freudsche Hilfe
kaum entschlüsseln lässt. Denn die musikgeschichtlichen Zitate von
Barock bis Pop können's ja nicht sein, sie erzeugen zwar hübsche
Stilbrüche, da Valeria Dosenko sich stets fast klassisch bewegt,
haben aber eigentlich keinen Witz. Alles das wirkt nur nett getanzt,
vollzieht sich ohne innere Spannung oder zwingende Idee; die
vielleicht einzige wird bis zum Schluss aufgespart, endlich tritt Er
zu Ihr in den Bild-Raum, doch siehe da, der hat eine Hintertür,
durch die sich die beiden den Blicken entziehen - so entpuppt sich
der der Traum als schlicht erzähltes Märchen.
Tomas Petzold