Tanz in Schwanz

Die Tanzcompany des Theaters Görlitz verzaubert mit einem Ausflug in
Hans Christian Andersens Unterwasserwelt der kleinen Meerjungfrau

Sächsiche Zeitung
25.01.2016
Birgit Weise

Ein Matrose spielt am Ufer mit einem kleinen Holzboot und schaut in die Ferne. Er erblickt die Silhouette einer Meerjungfrau, lässt ab vom Holzboot und schwimmt dem Meereswesen entgegen. Muss es nicht genau andersherum sein, die Meerjungfrau schwimmt hin zum Matrosen? Egal wie, die Sehnsucht ist auf beiden Seiten. Die Sehnsucht nach dem anderen, nach der Fremde, wie sie Hans Christian Andersen in seinem Märchen „Die kleine Meerjungfrau“ beschreibt und wie sie im gleichnamigen Tanzstück des Theaters Görlitz seit Sonnabend auf die Bühne gebracht wird. Die Choreografen Dan Pelleg und Marko E. Weigert bescheren dem Publikum einen Tanzabend der besonderen Art – mit Luftakrobatik wird schwebend eine neue Dimension des Tanzes erobert. Das Zuhause der kleinen Meerjungfrau mutet an wie eine Unterwasserkletterwand mit kleinen Muschelhöhlen als Behausung. Die Tänzer klettern zwischen diesen rauf und runter, schlängeln sich drumherum, gleiten luftakrobatisch dran vorbei. Das ist nicht zuletzt deshalb sehr beeindruckend, da bei einigen die Füße in einem Fischschwanz stecken, was die Bewegungsfreiheit einschränkt. Eine ganze Zeit lang gleiten, schweben und schwänzeln so die Meereswesen über die Bühne in ihren meist blau-grün-violett-schuppigen Kostümen, in stimmiges Licht getaucht und von sphärischer Musik begleitet. So kommt man wirklich an in der Unterwasserwelt der kleinen Meerjungfrau, die eine große Sehnsucht in sich trägt nach den Menschen und nach deren Seele.

Füße wie auf Messers Schneide
Bei den Matrosen auf dem Schiff geht es allerdings weniger sphärisch zu. Die Unterwasserkletterwand verwandelt sich flugs in einen Dreimaster, auf dem die Männer ausgelassen tanzen zu Rhythmen, die zwei Beine verlangen. Die kleine Meerjungfrau schaut zu, noch gefangen in ihrem Fischschwanz, aber schon längst mit einer Entscheidung im Herzen, die unumkehrbar sein wird. Amit Preisman tanzt ihre kleine Meerjungfrau fortan mit zwei Beinen, endlich als Mensch. Die „richtigen“ Menschen um sie herum, in silberne Mäntel gehüllt, bewegen sich stereotyp nach lauter, pochender Musik. Aber sie ist mittendrin, das wollte sie. Mit Beinen zwar, aber ohne Stimme, sie kann sich ihrem Matrosen icht verständlich machen und sich als seine wahre Retterin zeigen. Jeder Schritt schmerzt, die Füße bewegen sich auf Messers Schneide. Wird sie je ankommen in der Fremde? Wird sich der Geliebte ihr zu wenden? Was ist wichtiger – lieben oder geliebt werden? Der Preis fürs Anderssein ist hoch, aber die kleine Meerjungfrau will ihn bezahlen. Mehr noch, sie nimmt sogar ihren Tod in Kauf. Es bleibt bis zur letzten Minute spannend, wie das Märchen tänzerisch sein Ende finden könnte. An diesem sitzt wieder ein Matrose am Ufer, aber dieses Mal nicht allein. Er und seine Geliebte begutachten das kleine Holzboot. Die Silhouette der kleinen Meerjungfrau taucht auf. Der Matrose schwimmt nicht zu ihr.